Autor: Marc Fengel
Bestandsschutz
Unter Bestandsschutz ist im Allgemeinen die Eigentumsgarantie nach Art. 14 (1) Grundgesetz (GG) zu verstehen. Demnach dient der Bestandsschutz dem „Schutz eines bereits vorhandenen Bestandes oder bereits vorhandener rechtlicher Positionen“. Dadurch darf eine rechtmäßig geschaffene bauliche Anlage auch dann weiter bestehen bleiben und genutzt werden, wenn die Rechtlage und die damit verbundenen Bestimmungen geändert werden.
Begriff Bestandsschutz im Sinne des Baurechts beschreibt den Umstand, dass nach einer Genehmigung eine Anlage oder Bauwerk weiter betrieben werden darf, obwohl neuere Gesetzte, Normen und andere nach der Errichtung gestellte Anforderungen verschärft werden. Damit bedeutet der Bestandsschutz im Baurecht, dass eine rechtmäßig errichtete bauliche Anlage bei nachträglicher Änderung des öffentlichen Rechts nicht durch die Rechtänderung rechtswidrig wird. Der Bestandsschutz besteht für einen Baubestand erst, wenn das Vorhaben im Wesentlichen bzw. vollständig fertiggestellt ist und folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- die elektrische Anlage im Bestand muss bestimmungsgemäß nutzbar sein
- die elektrische Anlage im Bestand muss legal errichtet sein
- die weitere sichere Nutzung muss gegeben sein
- von der elektrischen Anlage darf keine Gefahr für Leib und Leben ausgehen
- von der elektrischen Anlage darf keine Brandgefahr ausgehen
Der Begriff „Bestandsschutz“ ist nach DIN VDE 0100-200 nicht definiert. Die Definition des Bestandsschutzes gibt es demnach im Sinne der Errichtung elektrischer Anlagen nicht. Auch das Energiewirtschaftsgesetz kennt keinen Bestandsschutz. Hier wird auch gerne die sogenannte Vermutungswirkung fälschlicherweise als Bestandsschutz verstanden. Nach EnWG §49 wird lediglich die Sicherheit einer elektrischen Anlage vermutet, wenn sie zum Errichtungszeitpunkt den gültigen VDE Bestimmungen entspricht. Eine Vermutungswirkung ist jedoch weder als Bestandsschutz noch als Haftungsfreiheit für den Errichter zu verstehen. Es bedeutet nur, dass im Falle eines durch die elektrische Anlage verursachten Personenschadens lediglich die Beweisführung für die Schuld des Errichters die Staatsanwaltschaft zu führen hat. Bei Nichteinhaltung der zum Errichtungszeitpunkt gültigen VDE – Bestimmungen läge so die Beweisführung, dass die elektrische Anlage nicht Schadensursächlich ist, beim Errichter.
Für bestehende elektrische Anlagen und unveränderte Teile davon besteht keine grundsätzliche Anpassungspflicht, sofern der sichere und störungsfreie Betrieb einer Kundenanlage sichergestellt ist und diese nach den zum Errichtungszeitpunkt gültigen VDE Bestimmungen errichtet wurde, diesen noch entspricht und weder privatrechtliche Regelungen (z.B. aus dem Versicherungsvertrag) noch Folgenormen oder andere Regelwerke eine Anpassung an den aktuellen Stand der Technik nicht fordern.
Erweiterung
Von einer Erweiterung der elektrischen Anlage spricht man, wenn in einer bestehenden elektrischen Anlage Stromkreise und Betriebsmittel errichtet werden. Der bestehende Anlagenteil bleibt dadurch unverändert während der erweiterte Teil den derzeit gültigen VDE Bestimmungen entsprechend errichtet sein muss. Typische Erweiterungen in bestehenden elektrischen Anlagen sind:
- Erweiterung einer Anschlussnutzeranlage um einen Stromkreis, der zum Laden von Elektrofahrzeugen vorgesehen ist
- Errichtung einer Erzeugungsanlage (Photovoltaikanlagen, BHKW, Speicher) in einer bestehenden elektrischen Anlage
- Erweiterung von Unterverteilungen mit Endstromkreisen im Rahmen von Sanierungsarbeiten und Erweiterungen bestehender Gebäude
- Installation weiterer Steckdosen in einem bestehenden Endstromkreis
wesentliche Änderung und Anpassung
Änderung elektrischer Anlagen
Von der Änderung einer elektrischen Anlage kann dann gesprochen werden, wenn mehr oder weniger umfangreiche Maßnahmen umgesetzt werden, beispielsweise das Versetzen einer Steckdose im Zuge von baulichen Veränderungen. Die Änderung einer bestehenden elektrischen Anlage muss jedoch keine Modernisierung sein, insbesondere dann nicht, wenn eine Verbesserung des Zustandes nicht vorgenommen wird.
Eine „wesentliche Änderung“ in bestehenden Kundenanlagen liegt nach VDE AR-N 4100 Abs. 4.4 bei Erweiterungen, Nutzungsänderungen oder Änderung der Betriebsbedingungen vor. In diesen Fällen hat der Errichter die Notwendigkeit einer Anpassung der bestehenden Kundenanlage zu prüfen und erforderlichenfalls diese anzupassen. Nach VDE-AR-N 4105 stellt eine gleichwertige Änderung oder Austausch im Sinne der Instandsetzung von Komponenten der EZE oder des Speichers und Anlagenteilen keine wesentliche Änderung dar, wodurch keine Anpassungspflicht abgeleitet werden kann.
Anpassung
Eine Anpassung elektrischer Anlagen umfasst Maßnahmen zur Modernisierung, die der Verbesserung ihres Zustandes dienen oder ein Weiterbetrieb gefährlich ist. Der Begriff „Anpassung“ bezieht sich bei elektrischen Anlagen immer auf den aktuellen Stand der Technik einschließlich der zutreffenden Vorschriften. Eine Pflicht zur Anpassung bestehender elektrischer Anlagen besteht, wenn ein Weiterbetrieb unzumutbar oder gefährlich ist. Maßnahmen zur Modernisierung einer elektrischen Anlage sind solche, die der Verbesserung ihres Zustandes dienen. Verbesserung bedeutet in diesem Zusammenhang die nachhaltige Erhöhung ihres Gebrauchswertes. Dieses ist beispielsweise gegeben, wenn durch diese Maßnahme ein höherer Komfort oder auch ein höheres Sicherheitsniveau, z.B. durch zusätzliche Stromkreise, erreicht wird. Eine Anpassung ist erforderlich bei:
- Erneuerung und Erweiterung
- wesentlicher Änderung
- Mängeln, durch die Gefahr für Leib und Leben besteht
- wenn Folgenormen oder gesetzliche Auflagen eine Anpassung fordern
- wenn sich die Nutzungsbedingungen ändern
- wenn die elektrische Anlage die Nutzungszeit erreicht hat
Im Rahmen der Anpassung sind immer die zum Zeitpunkt der Anpassung gültigen VDE Bestimmungen und technischen Regeln zu beachten. Änderung der bestehenden Betriebs- und Umgebungsbedingungen erfordern eine Prüfung, ob die elektrische Anlage die derzeit gültigen Regeln der Technik für den neuen Anwendungszweck entspricht. Andernfalls ist die elektrische Anlage an den derzeit gültigen Stand der Technik anzupassen.
Eine Instandsetzung hingegen kann nach den zum Errichtungszeitpunkt gültigen Regeln erfolgen. Hier besteht keine Anpassungspflicht. Eine verbindliche Pflicht zu Anpassung an den „Stand der Technik“ kann ausschließlich von autorisierten Stellen, zum Beispiel von den Berufsgenossenschaften oder behördlichen Stellen, verbindlich gefordert werden. Privatrechtlich kann eine Notwendigkeit zur Anpassung auf Grundlage des Versicherungsvertrages erfolgen.
Die Pflicht zur Anpassung der Kundenanlage besteht u.a. bei Erhöhung der benötigten Leistung, Änderung von haushaltsüblichem Verbrauchsverhalten zu Anwendungen mit Dauerstrom (z.B. Errichtung von Ladesystemen für EV), Nachrüstung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen nach §14a EnWG, Umwandlung der Bezugsanlage in eine Bezugsanlage mit Netzeinspeisung, Änderung der Raumnutzung, Änderung einer Anschlussnutzeranlage von einem einphasigen in einen dreiphasigen Anschluss und/oder Änderung der Netzform. Bei Erzeugungsanlagen und Speichern liegen bei Änderung der vereinbarten Netzanschlussleistung SAmax um >10%, eine Verschlechterung der Netzrückwirkungen um die gültigen Grenzwerte vor. Ebenso ist eine Änderung des Schutzkonzeptes sowie bei Änderung der eingespeisten Leistung als eine wesentliche Änderung einzustufen, wodurch die Notwendigkeit einer Anpassung besteht.
Quellen
- Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG); Ausfertigungsdatum: 07.07.2005
- VDE-AR-N 4100: Technische Regeln für den Anschluss von Kundenanlagen an das Niederspannungsnetz und deren Betrieb (TAR Niederspannung); 2019-04
- VDE-AR-N 4105: Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz; 2018-11
- Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Elektrizitätsversorgung in Niederspannung (Niederspannungsanschlussverordnung – NAV) Ausfertigungsdatum: 01.11.2006
- Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheitsverordnung – BetrSichV) Ausfertigungsdatum: 03.02.2015
- Fengel – Prüfung elektrischer Anlagen – Band 1: Grundlagen, Bewertungskriterien, Schutzziele; ISBN: 978-3-8101-0539-4, Hüthig Verlag 2021