Erweiterung | Änderung | Anpassung

Erweiterung | Änderung | Anpassung

Autor: Marc Fengel 

Bestandsschutz

Unter Bestandsschutz ist im Allgemeinen die Eigentumsgarantie nach Art. 14 (1) Grundgesetz (GG) zu verstehen. Demnach dient der Bestandsschutz dem „Schutz eines bereits vorhandenen Bestandes oder bereits vorhandener rechtlicher Positionen“. Dadurch darf eine rechtmäßig geschaffene bauliche Anlage auch dann weiter bestehen bleiben und genutzt werden, wenn die Rechtlage und die damit verbundenen Bestimmungen geändert werden.

Begriff Bestandsschutz im Sinne des Baurechts beschreibt den Umstand, dass nach einer Genehmigung eine Anlage oder Bauwerk weiter betrieben werden darf, obwohl neuere Gesetzte, Normen und andere nach der Errichtung gestellte Anforderungen verschärft werden. Damit bedeutet der Bestandsschutz im Baurecht, dass eine rechtmäßig errichtete bauliche Anlage bei nachträglicher Änderung des öffentlichen Rechts nicht durch die Rechtänderung rechtswidrig wird. Der Bestandsschutz besteht für einen Baubestand erst, wenn das Vorhaben im Wesentlichen bzw. vollständig fertiggestellt ist und folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • die elektrische Anlage im Bestand muss bestimmungsgemäß nutzbar sein
  • die elektrische Anlage im Bestand muss legal errichtet sein
  • die weitere sichere Nutzung muss gegeben sein
  • von der elektrischen Anlage darf keine Gefahr für Leib und Leben ausgehen
  • von der elektrischen Anlage darf keine Brandgefahr ausgehen

Der Begriff „Bestandsschutz“ ist nach DIN VDE 0100-200 nicht definiert. Die Definition des Bestandsschutzes gibt es demnach im Sinne der Errichtung elektrischer Anlagen nicht. Auch das Energiewirtschaftsgesetz kennt keinen Bestandsschutz. Hier wird auch gerne die sogenannte Vermutungswirkung fälschlicherweise als Bestandsschutz verstanden. Nach EnWG §49 wird lediglich die Sicherheit einer elektrischen Anlage vermutet, wenn sie zum Errichtungszeitpunkt den gültigen VDE Bestimmungen entspricht. Eine Vermutungswirkung ist jedoch weder als Bestandsschutz noch als Haftungsfreiheit für den Errichter zu verstehen. Es bedeutet nur, dass im Falle eines durch die elektrische Anlage verursachten Personenschadens lediglich die Beweisführung für die Schuld des Errichters die Staatsanwaltschaft zu führen hat. Bei Nichteinhaltung der zum Errichtungszeitpunkt gültigen VDE – Bestimmungen läge so die Beweisführung, dass die elektrische Anlage nicht Schadensursächlich ist, beim Errichter.

Für bestehende elektrische Anlagen und unveränderte Teile davon besteht keine grundsätzliche Anpassungspflicht, sofern der sichere und störungsfreie Betrieb einer Kundenanlage sichergestellt ist und diese nach den zum Errichtungszeitpunkt gültigen VDE Bestimmungen errichtet wurde, diesen noch entspricht und weder privatrechtliche Regelungen (z.B. aus dem Versicherungsvertrag) noch Folgenormen oder andere Regelwerke eine Anpassung an den aktuellen Stand der Technik nicht fordern.

Erweiterung

Von einer Erweiterung der elektrischen Anlage spricht man, wenn in einer bestehenden elektrischen Anlage Stromkreise und Betriebsmittel errichtet werden. Der bestehende Anlagenteil bleibt dadurch unverändert während der erweiterte Teil den derzeit gültigen VDE Bestimmungen entsprechend errichtet sein muss. Typische Erweiterungen in bestehenden elektrischen Anlagen sind:

  • Erweiterung einer Anschlussnutzeranlage um einen Stromkreis, der zum Laden von Elektrofahrzeugen vorgesehen ist
  • Errichtung einer Erzeugungsanlage (Photovoltaikanlagen, BHKW, Speicher) in einer bestehenden elektrischen Anlage
  • Erweiterung von Unterverteilungen mit Endstromkreisen im Rahmen von Sanierungsarbeiten und Erweiterungen bestehender Gebäude
  • Installation weiterer Steckdosen in einem bestehenden Endstromkreis

wesentliche Änderung und Anpassung

Änderung elektrischer Anlagen

Von der Änderung einer elektrischen Anlage kann dann gesprochen werden, wenn mehr oder weniger umfangreiche Maßnahmen umgesetzt werden, beispielsweise das Versetzen einer Steckdose im Zuge von baulichen Veränderungen. Die Änderung einer bestehenden elektrischen Anlage muss jedoch keine Modernisierung sein, insbesondere dann nicht, wenn eine Verbesserung des Zustandes nicht vorgenommen wird.

Eine „wesentliche Änderung“ in bestehenden Kundenanlagen liegt nach VDE AR-N 4100 Abs. 4.4 bei Erweiterungen, Nutzungsänderungen oder Änderung der Betriebsbedingungen vor. In diesen Fällen hat der Errichter die Notwendigkeit einer Anpassung der bestehenden Kundenanlage zu prüfen und erforderlichenfalls diese anzupassen. Nach VDE-AR-N 4105 stellt eine gleichwertige Änderung oder Austausch im Sinne der Instandsetzung von Komponenten der EZE oder des Speichers und Anlagenteilen keine wesentliche Änderung dar, wodurch keine Anpassungspflicht abgeleitet werden kann.

Anpassung

Eine Anpassung elektrischer Anlagen umfasst Maßnahmen zur Modernisierung, die der Verbesserung ihres Zustandes dienen oder ein Weiterbetrieb gefährlich ist. Der Begriff „Anpassung“ bezieht sich bei elektrischen Anlagen immer auf den aktuellen Stand der Technik einschließlich der zutreffenden Vorschriften. Eine Pflicht zur Anpassung bestehender elektrischer Anlagen besteht, wenn ein Weiterbetrieb unzumutbar oder gefährlich ist. Maßnahmen zur Modernisierung einer elektrischen Anlage sind solche, die der Verbesserung ihres Zustandes dienen. Verbesserung bedeutet in diesem Zusammenhang die nachhaltige Erhöhung ihres Gebrauchswertes. Dieses ist beispielsweise gegeben, wenn durch diese Maßnahme ein höherer Komfort oder auch ein höheres Sicherheitsniveau, z.B. durch zusätzliche Stromkreise, erreicht wird. Eine Anpassung ist erforderlich bei:

  • Erneuerung und Erweiterung
  • wesentlicher Änderung
  • Mängeln, durch die Gefahr für Leib und Leben besteht
  • wenn Folgenormen oder gesetzliche Auflagen eine Anpassung fordern
  • wenn sich die Nutzungsbedingungen ändern
  • wenn die elektrische Anlage die Nutzungszeit erreicht hat

Im Rahmen der Anpassung sind immer die zum Zeitpunkt der Anpassung gültigen VDE Bestimmungen und technischen Regeln zu beachten. Änderung der bestehenden Betriebs- und Umgebungsbedingungen erfordern eine Prüfung, ob die elektrische Anlage die derzeit gültigen Regeln der Technik für den neuen Anwendungszweck entspricht. Andernfalls ist die elektrische Anlage an den derzeit gültigen Stand der Technik anzupassen.

Eine Instandsetzung hingegen kann nach den zum Errichtungszeitpunkt gültigen Regeln erfolgen. Hier besteht keine Anpassungspflicht. Eine verbindliche Pflicht zu Anpassung an den „Stand der Technik“ kann ausschließlich von autorisierten Stellen, zum Beispiel von den Berufsgenossenschaften oder behördlichen Stellen, verbindlich gefordert werden. Privatrechtlich kann eine Notwendigkeit zur Anpassung auf Grundlage des Versicherungsvertrages erfolgen.

Die Pflicht zur Anpassung der Kundenanlage besteht u.a. bei Erhöhung der benötigten Leistung, Änderung von haushaltsüblichem Verbrauchsverhalten zu Anwendungen mit Dauerstrom (z.B. Errichtung von Ladesystemen für EV), Nachrüstung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen nach §14a EnWG, Umwandlung der Bezugsanlage in eine Bezugsanlage mit Netzeinspeisung, Änderung der Raumnutzung, Änderung einer Anschlussnutzeranlage von einem einphasigen in einen dreiphasigen Anschluss und/oder Änderung der Netzform. Bei Erzeugungsanlagen und Speichern liegen bei Änderung der vereinbarten Netzanschlussleistung SAmax um >10%, eine Verschlechterung der Netzrückwirkungen um die gültigen Grenzwerte vor. Ebenso ist eine Änderung des Schutzkonzeptes sowie bei Änderung der eingespeisten Leistung als eine wesentliche Änderung einzustufen, wodurch die Notwendigkeit einer Anpassung besteht.

Quellen

  • Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG); Ausfertigungsdatum: 07.07.2005
  • VDE-AR-N 4100: Technische Regeln für den Anschluss von Kundenanlagen an das Niederspannungsnetz und deren Betrieb (TAR Niederspannung); 2019-04
  • VDE-AR-N 4105: Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz; 2018-11
  • Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Elektrizitätsversorgung in Niederspannung (Niederspannungsanschlussverordnung – NAV) Ausfertigungsdatum: 01.11.2006
  • Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheitsverordnung – BetrSichV) Ausfertigungsdatum: 03.02.2015
  • Fengel – Prüfung elektrischer Anlagen – Band 1: Grundlagen, Bewertungskriterien, Schutzziele; ISBN: 978-3-8101-0539-4, Hüthig Verlag 2021
Normen in der Elektrotechnik – “Man muss nur wissen wo es steht!!!!!!” 

Normen in der Elektrotechnik – “Man muss nur wissen wo es steht!!!!!!” 

Deutschland, die EU und mittlerweile die ganze Welt ist ein Geflecht an Normen, Richtlinien, Verordnungen und Gesetzten. Was in Fach- und Lehrbüchern und Fachartikeln dem Anwender häppchenweise anwendungsspezifisch und in verständlicher Sprache erläutert wird, verbirgt im Hintergrund eine Kombination aus technischen Möglichkeiten gepaart mit den derzeit gültigen Normen und weiteren Anforderungen. Besonders im Rahmen der Berufs- und Meisterausbildungen im Elektrohandwerk birgt die reine Lehre nach Lehrbuch ein großes Risiko. Das reine Lehrbuch stellt lediglich eine Vermittlung von Hintergrundwissen gepaart mit der für die Prüfung relevante Stoffvermittlung. Man lernt demnach nur für die bevorstehende Prüfung anhand des derzeitigen Normenstandes. In der Realität werden allerdings Normen regelmäßig überarbeitet, wodurch sich Anforderungen ändern, erweitern und neue Aspekte hinzukommen. Hierzu ist es sowohl für angehende als auch ausgebildete Gesellen und Meister im Elektrohandwerk unerlässlich den Wissenstand von der Ausbildung kontinuierlich auf dem Laufenden zu halten.

Meine aktuelle Beitragsserie in der Fachzeitschrift Elektropraktiker gibt in den Ausgaben Februar 2021 bis Juni 2021 unter der Rubrik “Lernen und Können”  einen Überblick über die Entstehung, Struktur und Anwendung der für das Elektrohandwerk relevanten Normen. Es soll dem Leser eine Orientierungshilfe im Normendschungel geben und die Grundlagen der Normung und der Interpretation vermitteln.

 

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim lesen.

Karlsruhe, den 10.06.2021

Von der Erfindung zur VDE-Norm

Von der Erfindung zur VDE-Norm

Erfindungen der Elektrotechnik und die Rolle des VDE

Keine anderen technischen Erfindungen haben unsere Welt so geprägt wie Erfindungen der Elektrizität. Was heute in Form von elektrischer Energie mit all den Annehmlichkeiten uns zur Verfügung steht, musste erst einmal entdeckt und Begriffen werden. Im 17. Jahrhundert fand der Ingenieur Otto von Guericke als einer der ersten Forscher heraus, dass man durch Reibung Elektrizität erzeugen kann. Die Urkraft der Elektrizität waren Mitte des 18. Jahrhundert Blitze. Im Jahr 1752 wies Benjamin Franklin  die Elektrizität von Blitzen nach. Hierzu ließ er während eines Gewitters einen Drachen mit einem metallenen Schlüssel daran steigen. Franklins Experiment führte zur Erfindung des Blitzableiters in Form einer Metallstange, die auf dem Dach von Gebäuden die Blitze sozusagen anzieht und in den Boden ableitet. Man könnte demnach sagen, dass damit der Grundstein der Erkenntnisse der Elektrizität und der damit erforderlichen Vorkehrungen zum Beherrschen der Gefahren gelegt wurde. Im Jahr 1800 wurde von Alessandro Volta (Italien) die erste Batterie, die Volta Säule, entwickelt. Sie bestand aus vielen übereinander geschichteten Kupfer- und Zinkplättchen, zwischen denen sich in bestimmter regelmäßiger Folge elektrolytgetränkte Papp- oder Lederstücke befanden. Fast zeitgleich wurden von Johann Samuel Halle (1792) und Humphry Davy (1802) der Effekt des Lichtbogens beobachtet und zur Beleuchtung angewendet. Mit Voltas erster Batterie, der Volta-Säule, wurden damit eine elektrische Beleuchtung mit Bogenlampen realisiert. Die Anwendung der Elektrizität für Licht war geboren. In den darauffolgenden Jahrzehnten folgten weitere Erfindungen: 1821 der Elektromotor, 1831 der Generator und Transformator, 1878 erfand Thomas Edison (USA) und zeitgleich Joseph Swan (England) die Glühlampe. 1882 ging das erste kommerzielle Kraftwerk mit Stromzähler ans Netz.

Parallel erfolgte in den Jahren 1847 bis 1931 der berühmte Stromkrieg zwischen Thomas Edison und Goerge Westinghouse. Während Edison die Gleichspannung favorisierte, favorisierte Westingshouse die Wechselspannung, als die geeignetere Technik für die großflächige Versorgung elektrischer Energie. Bereits in diesen Jahren stellten sich die ersten Frage, welche Technik sich langfristig durchsetzen sollte. Bereits zum damaligen Zeitpunkt war den Pionieren der Elektrotechnik klar, dass die Anwendung von Elektrizität auch mit Risiken für Menschen und Sachgüter verbunden sind. Im Jahr 1881 wurde der Zahnarzt Alfred P. Southwick zufällig Zeuge eines Unfalls, bei dem ein betrunkener Mann einen Stromgenerator berührte und sofort starb. Im Zuge des Stromkrieges zwischen Edison und Westinghouse versuchte Edison die, von Westinghouse favorisierte, Wechselspannung als Lebensgefährlich darzustellen, worauf Harold P. Brown, ein Mitarbeiter von Edison, den elektrischen Stuhl als Hinrichtungsmaschine entwickelte.

Der Nutzen der neuen Energieform zog einher mit der Frage der sicheren Anwendung. Hierfür mussten klare Regeln für die Anwendung her. Hierzu kam die neue Fachwelt in Deutschland am 21./22. Januar 1893 in Berlin zusammen und gründete den VDE. An der Gründerkonferenz nahmen 37 Delegierte der Elektrotechnischen Vereine Deutschland teil. Den erster Verein gab es bereits seit 1879. Im September des gleiches Jahres hatte der VDE in Köln seine erste Jahresversammlung. Im Rahmen der Jahresversammlung wurde die erste technische Kommission des VDE gebildet. Ihre Aufgabe bestand darin, Vorschriften für elektrische Anlagen zu erarbeiten.

Im Jahr 1895 wurde als Ergebnis die erste „VDE Vorschrift“, die VDE 0100 zur sicheren Erstellung elektrotechnischer Anlagen verabschiedet. Die elektrotechnische Normung so wie wir sie heute kennen war damit geboren.

Betrieb elektrischer Anlagen im Jahr 1903

Was mit vielen kleinen Erfindungen begann, musste  im Zuge der industriellen, öffentlichen und privaten Anwendung beherrscht und sicher betrieben werden. Heute kennen wird diese Vorschriften im Rahmen der DIN VDE 0105-100 Betrieb elektrischer Anlagen. Am 1. März 1903 trat die Erstausgabe der VDE 0105 mit dem Titel „Sicherheitsvorschriften für den Betrieb elektrischer Starkstromanlagen“ in Kraft. Bereits dort kannte die Norm unter Abschnitt III die „Betriebsvorschriften für elektrische Installationen und Stromverbraucher, welche mit Niederspannung betätigt werden“. Nach §6 waren die elektrischen Anlagen den „Sicherheitsvorschriften für die Errichtung elektrischer Anlagen“ des Verbandes Deutscher Elektrotechniker entsprechend in ordnungsgemäßen Zustand zu erhalten durch folgende Aufzählung enthalten:

  • Der Zugang zu Maschinen und Apparaten, insbesondere Schalt- und Verteilertafeln, muss stets freigehalten werden.
  • Schutzkästen und Schutzhüllen jeder Art müssen in brauchbarem Zustande erhalten werden.
  • Warnschilder, Bedienungsvorschriften, sind in leserlichem Zustande zu halten.

Mit Aufzählung der drei Anforderungen waren die Schutzziele beim Betrieb elektrischer Anlagen klar festgelegt. Eine Unterscheidung zwischen elektrischen Anlagen, Maschinen und Prozessanlagen gab es damals noch nicht. Mit der Anforderung, dass Zugänge freizuhalten sind wurde bereits im Jahr 1903 die Anforderungen an das sichere Bedienen festgelegt. Während der Zugang in den aktuellen Normenausgaben weiterhin vorhanden sind, ist die Freihaltung von Freihaltung von Zugängen und Gängen heute fester Bestandteil der Unfallverhütungsvorschriften. Die Feststellung des brauchbaren Zustandes von Schutzkästen und Schutzumhüllungen dient damals wie heut dem Schutz vor direktem Berühren aktiver Teile und damit dem Schutzziel: Schutz gegen elektrischen Schlag. Der leserliche Zustand von Warnschilder und Bedienungsvorschriften sollte den Nutzer in die Lager versetzen, Gefährdungen zu erkennen und die Anlagen sicher zu bedienen. Heute sind diese Vorschriften in unterschiedlichen Normen des VDE und Regelwerken der Unfallverhütungsvorschriften festgelegt.

Auch ist 1903 der Erhalt des ordnungsgemäßen Zustandes verbindlich festgelegt. In §7 (a) heißt es hierzu:

„Zur Kontrolle ihres ordnungsgemäßen Zustandes sind alle Anlagen zunächst vor Inbetriebsetzung und sodann in angemessenen Zwischenräumen zu revidieren, wobei den vorgeschriebenen Schutzvorrichtungen besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist“ und weiter „Hierbei ist auch der Isolationszustand der Anlage zu kontrollieren. Erhebliche Erweiterungen sind wie heute wie Neuanlagen zu behandeln.“

Mit diesem einfachen Satz wurde der sogenannte Bestandsschutz, den es eigentlich sowieso nicht gibt, ausgehebelt. Was sinngemäß die Erstausgabe der VDE 0105 von der derzeit gültigen Ausgabe unterscheidet ist, dass heute zwischen Anpassung und Instandsetzung unterschieden wird. Eine Anpassung ist demnach immer dann erforderlich, wenn Anpassungsvorschriften bestehen oder die elektrische Anlage so erweitert oder geändert wird, dass die Änderung bestehende Anlagenteile betrifft und diese demnach an die derzeit anerkannten Regeln der Technik anzupassen sind. Gleiches gilt bei Nutzungsänderung.

Auch die Prüfung elektrischer Anlagen ist bereits seit 1903 fester Bestandteil der VDE 0105. In §7 Abschnitt d) ist zudem eine Aussage über die Prüffristen enthalten. Dort heißt es:

„Die Revisionen haben stattzufinden: In Warenhäusern, Theatern, sowie feuergefährlichen und durchtränkten Räumen jährlich mindestens einmal; in gewöhnlichen Läden, Betriebsräumen und Bureaus (Büros) alle drei Jahre einmal: in Wohnungen alle fünf Jahre.“

Mit dieser Anforderung waren bereits in der Erstausgabe der VDE 0105 die Prüffristen unter Berücksichtigung der Gebäude- und Raumnutzung sowie der Qualifikation des Personals und der Nutzer festgelegt. Außerdem waren neben elektrischen Anlagen in gewerblichen und öffentlichen Bereichen auch Prüffristen an elektrische Anlagen in Wohngebäuden verbindlich aufgenommen. Was früher normativ verbindlich vorgeschrieben wurde, ist heute in einer Vielzahl an gesetzlichen Vorgaben und Verordnungen sowie über privatrechtliche Regelungen z.B. den Versicherungsvertrag zu finden.

 

 

Quellen:

 

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im VDE Dialog des VDE Mittelbadens in der Ausgabe 01/2021.

Klarheit beim Einsatz von AFDDs – Leitfaden zur Erstprüfung

Klarheit beim Einsatz von AFDDs – Leitfaden zur Erstprüfung

Mit der neuen Ausgabe der DIN VDE 0100-420: 2019-10 wird in Sachen Brandschutzschalter (AFDD) normativ die Durchführung einer Risiko- und Sicherheitsbeurteilung gefordert. Dadurch weicht die reine „Normenreiterei“ einer projektbezogenen Fachplanung und nimmt Planer und Betreiber stärker in die Verantwortung.

Marc Fengel

Der Leitfaden steht unter folgendem Link zum download bereit: Leitfaden bei Prüfungen_AFDDs_rev_191029

 

Einführung

Nach §49 EnWG sind elektrische Anlage so zu errichten, dass Personen und Nutztiere nicht durch die Gefahren des elektrischen Stromes gefährdet werden. Elektrische Anlagen gelten als sicher, wenn sie zum Zeitpunkt ihrer Errichtung nach den zum Errichtungszeitpunkt gültigen Regeln der Technik errichtet sind. Diese werden vermutet, wenn die Anlage nach den zum Errichtungszeitpunkt gültigen VDE Bestimmungen errichtet wurde. Damit besteht bei Einhaltung der zutreffenden VDE Bestimmungen die sogenannte Vermutungswirkung für Planer und Errichter. Die DIN VDE 0100-420 legt Anforderungen an den Schutz gegen thermische Auswirkungen fest. Nach DIN VDE 0100-420 Abs. 421.7 sind besondere Maßnahmen zum Schutz gegen die Auswirkung von Fehlerlichtbögen in Endstromkreisen für folgende Bereiche empfohlen:

  • Räumlichkeiten mit Schlafgelegenheiten
  • Feuergefährdete Betriebsstätten oder gleichzusetzende Risiken, wie z.B. Räume oder Orte mit Gefährdungen für unersetzbaren Güter
  • Bauliche Anlagen, deren Nutzung durch Umgang mit oder Lagerung von Stoffen mit Explosions- oder erhöhter Brandgefahr verbunden ist
  • Räume oder Orte aus Bauteilen mit brennbaren Baustoffen, wenn diese einen geringeren Feuerwiderstand als feuerhemmend aufweisen

Die Erkennung von besonderen Risiken durch Auswirkungen von Fehlerlichtbögen in Endstromkreisen für die genannten Räume und Orte ist in der Planungsphase durch eine Risiko- und Sicherheitsbewertung zu identifizieren. Als Ergebnis der Risiko- und Sicherheitsbewertung haben idealerweise alle Partien (Planer, Errichter und Betreiber) gemeinsam die Notwendigkeit präventiven Maßnahmen zur Erkennung und Löschung von Fehlerlichtbögen festzulegen. Mit der Empfehlung der Verwendung von Brandschutzschaltern (AFDD) stellt dieser eine von mehreren Möglichkeiten, die im Abschnitt 421.7 der DIN VDE 0100-420 nicht genannt werden, dar. Damit sind weitere Vorkehrungen zum Schutz und zur Überwachung möglich. Das Ergebnis der Risiko- und Sicherheitsbewertung ist zu dokumentieren. Daraus müssen die Notwendigkeit und Auswahl der Schutzvorkehrungen hervorgehen. Die Entscheidung über die Auswahl der Schutzvorkehrungen trifft so wie wir es bereits bei Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen (RCDs) kennen nicht die Norm, sondern Planer und Betreiber.

 

Durchführung

  1. Grundlage der Prüfung ist die Risiko- und Sicherheitsbewertung. Liegt diese vor, muss aus dem Ergebnis die Notwendigkeit von Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtungen (AFDDs) für die bestimmten Bereiche hervorgehen. Liegt zum Zeitpunkt der Prüfung keine Risiko- und Sicherheitsbewertung vor, besteht eine normative Abweichung hinsichtlich der Forderung der Durchführung einer Risiko- und Sicherheitsbewertung gemäß DIN VDE 0100-420 Abs. 421.7. Es fehlt somit die Bewertungsgrundlage. Diese ist als Mangel aufzuführen.
  2. Ergibt die Risiko- und Sicherheitsbewertung oder geht aus weitere (z.B. vertragliche) Obliegenheiten hervor, dass Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtungen (AFDDs) für bestimmte Bereiche vorzusehen sind, ist durch Besichtigen gemäß DIN VDE 0100-600 Abs. 6.4 und den Herstellervorgaben die korrekte Auswahl und Anordnung festzustellen. Fehlende Herstellervorgaben (z.B. Montage- und Bedienungsanleitung, Typenschilder) und Abweichungen gemäß DIN VDE 0100-600 Abs. 6.3 sind als Mangel aufzuführen.
  3. Ergibt die Risiko- und Sicherheitsbewertung, kein Erfordernis von Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtungen (AFDDs) oder andere Schutzvorkehrungen, und liegend dennoch die nach DIN VDE 0100-420 Abs. 421.7 genannten Bereiche vor, ist das Ergebnis zu hinterfragen und ggf. weitere Nachweise einzufordern. In jedem Fall sollte der Prüfer auf die Abweichung im Prüfbericht hinweisen.

 

Quellen

Fengel / Elektropraktiker Ausgabe 11/2019 / Klarheit für den Einsatz von AFDDs – Die neue DIN VDE 0100-420 (VDE 0100-420)

Fengel / Elektropraktiker Ausgabe 03/2019 / AFDDs sollen Brandschutzlücke schließen

DIN VDE 0100-420- Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 4-42: Schutzmaßnahmen – Schutz gegen thermische Auswirkungen; Oktober 2019

DIN VDE 0100-530 Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 530: Auswahl und Errichtung elektrischer Betriebsmittel – Schalt- und Steuergeräte: Juni 2018

 

 

Der Leitfaden steht unter folgendem Link zum download bereit:

Leitfaden bei Prüfungen_AFDDs_rev_191029

 

Lesen Sie auch meine aktuellen Fachbeiträge zum Thema.

 

Fachartikel: Klarheit für den Einsatz von AFDDs

https://www.elektropraktiker.de/nc/fachartikel/klarheit-fuer-den-einsatz-von-afdds/

 

Fachartikel: AFDDs sollen Brandschutzlücke schließen

https://www.elektropraktiker.de/nc/fachartikel/afdds-sollen-brandschutzluecke-schliessen/

 

Publikationen und Veröffentlichungen

Karlsruhe, den 08.11.2019

Marc Fengel

 

Neue Anforderungen an die Errichtung von Ladeinfrastrukturen für Elektrofahrzeuge

Neue Anforderungen an die Errichtung von Ladeinfrastrukturen für Elektrofahrzeuge

Im Juni 2019 ist die neue DIN VDE 0100-722 verbindlich in Kraft getreten. Der Anwendungsbereich umfasst Anforderungen an die Errichtung von Stromkreise bis zum Anschlusspunkt.

Zu den leitungsgebundenen Anschlussfällen – die Anschlussfälle A, B und C nach DIN EN 61851-1 (VDE 0122-1) – sind mittlerweile Systeme mit automatischem Verbindungsaufbau, den sogenannten ACD-Systemen, in die Errichtungsnorm aufgenommen worden.

Systeme zur kontaktlosen Energieübertragung stellen Planer, Errichter und Betreiber hinsichtlich der Gefahren ausgehend von elektrischen und Magnetischen Feldern vor neue Herausforderungen.

Batteriewechselsysteme nehmen je nach Automatisierungsgrad, vollautomatisch, halbautomatisch oder handbetätigt den Tausch vor. Dadurch ist die Verfügbarkeit eines Elektrofahrzeuges nicht von der Ladezeit abhängig.

Damit ist klar, dass Ladepunkte für Elektrofahrzeuge längst nicht mehr einfache Steckdosen im Außenbereich sind, sondern komplexe Systeme, bei denen es neben den Anforderungen an die elektrische Sicherheit

  • Anforderungen an die Maschinensicherheit,
  • Anforderungen der an die funktionale Sicherheit
  • Anforderungen an die IT-Sicherheit

uvm. zu beachten gibt.

 

Lesen Sie auch hierzu meine aktuellen Fachbeiträge in der Fachzeitschrift Elektropraktiker:

 

Teil 1: Anschluss- und Ladebetriebsarten

https://www.elektropraktiker.de/nc/fachartikel/ladeinfrastrukturen-fuer-elektrofahrzeuge/

 

Teil 2: Stromversorgung und allgemeine Merkmale

https://www.elektropraktiker.de/nc/fachartikel/ladeinfrastrukturen-fuer-elektrofahrzeuge-1/

 

Teil 3: Auswahl und Anordnung der Betriebsmittel

https://www.elektropraktiker.de/nc/fachartikel/ladeinfrastrukturen-fuer-elektrofahrzeuge-2/

 

Anmeldung Ladeeinrichtung für Elektrofahrzeuge (Fachfrage)

https://www.elektropraktiker.de/nc/fachartikel/anmeldung-von-ladeeinrichtungen/

 

Ich freue mich auf interessante Diskussionen.

Marc Fengel

Notwendigkeit der Erdung eines leitfähigen Kabelkanals mit Schukosteckdose?

Notwendigkeit der Erdung eines leitfähigen Kabelkanals mit Schukosteckdose?

Im folgenden Beispiel wurde ein metallener Kabelkanal im Raum installiert. Die dort installierten Schukosteckdosen werden über einen Stecker angeschlossen. Hierfür ist die Leitung vom Typ NYM abzumanteln. Allerdings verfügt der vom Hersteller der Schukosteckdose mitgelieferte Stecker über keine Leitungseinführung, sodass die basisisolierten Leiter der Mantelleitung ohne doppelte Isolierung im Kabelkanal liegt. Hier stellt sich mal wieder die typische Frage nach der Notwendigkeit einer wirksamen Erdverbindung des Kabelkanals. 

 

Marc Fengel


Hinweis zum Beitrag: Dieser Beitrag stellt meine persönliche Meinung auf Basis der angegebenen Quellen dar. Die Ausführungen stellen lediglich eine Möglichkeit dar, den Sachverhalt zu beurteilen. Es gibt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. In keinem Fall ersetzt dieser Beitrag eine ordentliche Planung und Entbindet nicht vor weiteren gesetzlichen und privatrechtlichen Obliegenheiten.  


 

Ausgangslage:

  • Anschlussstecker der Steckdosen wird mit basisisolierten Leitern angefahren
  • Die Mantelleitung (NYM) ist ohne Anschlussdose abgemantelt und am Stecker angeschlossen
  • Der Kanal wird nicht durch Räume durchgeführt
  • Der metallene Kabelkabelkanal im Raum ist nicht mit dem Schutzleiter verbunden

Steckdosenstromkreise (Endstromkreise) sind nach DIN VDE 0100-410 mit einem Basisschutz (Schutz gegen direktes Berühren), einem Fehlerschutz (Schutz bei indirektem Berühren) und einem zusätzlichen Schutz ausgestattet. Als Fehlerschutz findet hier der Schutz durch automatische Abschaltung im Fehlerfall gemäß den Anforderungen nach DIN VDE 0100-410 411.4 (TN-Systeme) Anwendung. Der Schutz gegen elektrischen Schlag besteht grundsätzlich aus einer Kombination aus Basisschutz- und Fehlerschutzvorkehrung.

Die Anforderungen an den Schutz gegen elektrischen Schlag sind in der Norm DIN EN 61140 (VDE 0140-1) festgelegt. Demnach sind Körper elektrischer Betriebsmittel nach VDE 0140-1 7.3.3 mit einer Schutzleiterklemme zu verbinden. Leitfähige Teile, die berührt werden können, sind keine Körper (elektrischer Betriebsmittel), falls sie von gefährlichen aktiven Teilen sicher getrennt sind, und müssen demnach nicht zwangsläufig mit dem Schutzleiter verbunden sein.

Eine sichere Trennung setzt nach DIN VDE 0140-1 3.24 eine gegenseitige Trennung von Stromkreisen u.a. mittels doppelter oder Verstärkter Isolierung voraus. Eine sichere Trennung zwischen einem Stromkreis und anderen Stromkreisen muss nach DIN VDE 0140-1 5.4.3 erreicht werden durch eine Kombination aus Basisisolierung und zusätzlicher Isolierung, z.B. doppelte Isolierung oder einer verstärkten Isolierung. Die Isolierung muss jeweils für die höchste vorkommende Spannung bemessen sein.

Die Leitung vom Typ NYM stellt mit der Isolierung der basisisolierten Leiter und der Isolierung des Leitungsmantels sozusagen ein Betriebsmittel der Schutzklasse 2 dar. Basisschutz und Fehlerschutz sind demnach für das „Betriebsmittel Leitung“ gegeben. Die Mantelleitung, verlegt im leitfähigen Kabelkanal, erfüllt durch die doppelte Isolierung (Leiter und Mantel) die Anforderung an die Schutzmaßnahme Schutz durch doppelte oder verstärkte Isolierung. Weitere Maßnahmen zur Erreichen des Schutzes gegen elektrischen Schlag sind demnach nicht notwendig.

Der abgemantelte Teil der Leitung verfügt in diesem Abschnitt bis zur Einführung in die Betriebsmittel (Anschlussstecker) ausschließlich über eine wirksame Basisisolierung. Eine doppelte Isolierung als Basisschutz und Fehlerschutz durch die Basisisolierung der Leiter und einer Isolierung durch die Luftstrecke zwischen basisisolierten Leitern und dem Kanal ist unzulässig, da beides Maßnahmen zum Erreichen des Basisschutzes zulässig sind. Eine wirksame Fehlerschutzvorkehrung (doppelte Isolierung) fehlt. Demnach ist der Schutz gegen elektrischen Schlag nach DIN VDE 0100-410 Abs. 412 ist unwirksam.

Ein Fehlerschutz ist aufgrund des abgemantelten Leitungsabschnitt herzustellen. Hierfür kann die Schutzmaßnahme – Schutz durch Potentialausgleich- angewendet werden. Nach DIN VDE 0140-1 6.4 besteht diese aus einer festen Basisisolierung (5.2.2.1) und einem Schutzpotentialausgleich (5.3.3) für den Fehlerschutz. Demnach stellt die Verbindung mit Erdpotential eine Abhilfemaßnahme dar.